Während ich diese Mittwochs-Mail schreibe, tanzen wahre Geschwader von dicken Schneeflocken vor meinem Fenster. So ein Schneegestöber hätte ich mir für den Winter gewünscht. Da sah es, zumindest bei uns, über weite Strecken schnee-mau aus. Jetzt, im Frühling, wo wir in der vergangenen Woche Spitzentemperaturen von 25,5 Grad hatten, mag ich den Schnee nicht mehr so gerne sehen. Aber es ist nun mal April und es herrscht Aprilwetter. Mit allen Freuden und Risiken, die es birgt.

Die Natur schlägt ihre eigenen Kapriolen. Sie lässt sich nicht in Schubladen sperren. Wenn wir meinen, es müsse Frühling herrschen, dann gibt sie uns noch lange keinen Frühling. Irgendwann ja, aber nicht auf Knopfdruck.

Gestern hielt ich eine Abschiedsfeier und ich begann meine Rede mit den Worten:

Der Winter hat uns wieder an diesem Tag, der doch ein Frühlingstag sein sollte. Was sich bereits warm und mild und lau und licht und leicht zeigte, wird, dem Aprilwetter folgend, von Hagel gespickt und mit leichtem Frost überzogen. Als habe die Natur ihren Rückzug angetreten, den Durchbruch noch nicht ganz vollzogen, nur fast. Einen Schritt zurück, bevor es wieder vorwärts geht. Unaufhaltsam. Ungeahntes Licht, neues Leben, andere Welt.

Der Verstorbene hat ihn oft erlebt, den Übergang vom Winter in den Frühling. Er kannte die Marotten, die das Wetter zuweilen zeigte, er wusste um das Vor und Zurück und wieder Vor. Er sah es auch in anderen Bereichen seines Lebens. Es gibt nicht nur den einen geraden Weg, den du mit deinen Schritten Tag für Tag abschreitest. Es gibt Irrungen und Wirrungen. Es gibt Umwege, Änderungen des Ziels, des Plans. Und doch ist es am Schluss, rückblickend betrachtet, dein ureigenes Leben, das so und nicht anders verlaufen ist, vielleicht verlaufen sollte. So genau lässt sich das meist nicht sagen…

Der April, das Wetter, das wir gerade erleben, ist ein wunderbares Sinnbild für das Auf und Ab, dem wir uns unterworfen sehen. Es geht nicht einfach geradeaus. Es geht auch nicht nur steil bergauf. Manchmal wäre es leichter, wenn wir planen könnten, wenn unser Leben vorhersehbar wäre – aber es wäre auch langweilig. Nichts Neues, keine Überraschungen. Die Natur lehrt uns, dass es einen großen Plan gibt, der sich – letztendlich – immer durchsetzt. Aber sie lehrt uns auch, uns dem Werden und Vergehen, uns den krummen Pfaden, uns der Geburt und dem Sterben hinzugeben. Weil alles dazugehört. Weil alles Leben ist.

Es war der 8. April 2006, der sich morgen zum 15. Mal jährt, als meine beiden jüngsten Töchter geboren wurden. Eine davon starb am 21. April 2006. Sie glichen einander wie ein Ei dem anderen. Die eine wollte leben, die andere hatte ihren Auftrag auf dieser Erde bereits erfüllt. Geburt und Sterben, Leben und Tod sehr dicht beieinander. Ich musste erst lernen, dass das eine Zwillingsmädchen ebenso viel Recht auf seinen Tod hatte wie das andere auf sein Leben. Aber so und nicht anders ist es. Es war nun mal April. Und in so manchem Leben herrscht Aprilwetter. Auch in meinem.

Du siehst, was ich schreibe und erzähle und täglich tue, ist nicht am Reißbrett entworfen und muss die Feuerprobe erst überstehen. Meine Arbeit, mein Privatleben, alles, was mich ausmacht, ist durchdrungen von dem natürlichen Fluss der Dinge, zu dem das Sterben ebenso selbstverständlich dazugehört wie das Leben.

Ich wünsche dir von Herzen eine lebendige Woche voller Aprilwetter, 

deine Katharina

Zitat der Woche: „In jedem Geschöpf der Natur lebt das Wunderbare.“ (Aristoteles)