Niemand von uns weiß, wann uns die Stunde schlagen wird. Auch wenn wir davon ausgehen, dass wir lange leben und unsere Lieben noch viele Jahre bei uns bleiben werden, muss das nicht unbedingt eintreten. Ich erlebe es in vielen Gesprächen, die ich mit Trauernden habe, dass der Tod – egal in welchem Alter – sehr plötzlich kommen kann. Zu einem Zeitpunkt, zu dem niemand damit rechnet.

Können wir denn den Tod nicht voraussagen? Manchmal haben wir eine Ahnung davon. Aber wir drängen sie zur Seite. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Weil die Seele eine enorme Kraft hat, sich zu schützen und Dinge, die zu belastend zu denken und zu fühlen sind, zu verdrängen. Das ist eine hilfreiche Funktion. Ein „Seelen-Airbag“ quasi. Aber manchmal verhindert dieser Seelen-Airbag, dass wir genauer hinschauen. Bei uns selber und bei unseren Liebsten. Und realisieren: Wir werden nicht für immer zusammen sein.

In neun Tagen ist Heiligabend. Weihnachten mit unseren Liebsten und Weihnachten ohne unsere Liebsten. Beide Arten, das Fest der Liebe zu begehen, sind emotionsgeladen. Solange sie um uns sind, sollten wir zu schätzen wissen, was wir haben, und ihnen zeigen: du bist mit wichtig! Ihnen sagen: ich hab‘ dich lieb! Denn wer weiß, ob es nicht irgendwann, vielleicht schon morgen, zu spät sein könnte?

Dezember

Das Jahr ward alt. Hat dünnes Haar.
Ist gar nicht sehr gesund.
Kennt seinen letzten Tag, das Jahr.
Kennt gar die letzte Stund.

Ist viel geschehn. Ward viel versäumt.
Ruht beides unterm Schnee.
Weiß liegt die Welt, wie hingeträumt.
Und Wehmut tut halt weh.

Noch wächst der Mond. Noch schmilzt er hin.
Nichts bleibt. Und nichts vergeht.
Ist alles Wahn. Hat alles Sinn.
Nützt nichts, dass man’s versteht.

Und wieder stapft der Nikolaus
durch jeden Kindertraum.
Und wieder blüht in jedem Haus
der goldengrüne Baum.

Warst auch ein Kind. Hast selbst gefühlt,
wie hold Christbäume blühn.
Hast nun den Weihnachtsmann gespielt
und glaubst nicht mehr an ihn.

Bald trifft das Jahr der zwölfte Schlag.
Dann dröhnt das Erz und spricht:
„Das Jahr kennt seinen letzten Tag,
und du kennst deinen nicht.“

Erich Kästner

Ich wünsche dir von Herzen eine lebensbewusste Adventswoche von Mittwoch zu Mittwoch,

deine Katharina

Zitat der Woche: „Es nimmt der Augenblick, was Jahre geben.“ (Johann Wolfgang von Goethe)