„Es sind die Nächte, vor denen ich besondere Angst habe. Da kommen die Geister“, sagte mir eine Frau, bei der ich gestern zur Trauerbegleitung war. Sie lebt gerade bei ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn und hat dort tagsüber Ablenkung und Arbeit. Aber nachts, nachts ist sie alleine. Dann kommen die Gedanken, die sie nicht loswird. An die Stunden, in denen ihr Mann starb. An all das Ungewohnte, teils Erschreckende, was ihr in dem Zusammenhang begegnete. Die Leere, das Vermissen.

Sie nimmt die Hilfe der Familie dankbar an, aber sie will auch niemandem zur Last fallen. Das ist in Zeiten, in denen man besonders bedürftig ist, ein Spagat. Und ja, ihre Familie ist für sie da, aber sie trauern selber. Sie brauchen Zeit für sich und der Alltag soll ja auch irgendwie bewältigt werden. Wie lässt sich dieses Dilemma auflösen?

Es ist alles ganz frisch. Der Ehemann, Vater, Schwiegervater und Opa ist erst zum Jahresbeginn gestorben. Das Leben ist aus den Fugen geraten und soll trotzdem weitergehen. Noch ist aber die Beerdigung nicht gewesen. Noch steht das Funktionieren im Vordergrund. Noch steht an oberster Stelle, dass alle je auf ihre Weise ihre Trauer ausleben können. Weinen, sich verkriechen, arbeiten, ausagieren. Es gibt so viele Arten, Trauer zu zeigen. Wenn sie nur nicht heruntergeschluckt wird. Herunterschlucken geht nach hinten los.

Ich vergleiche den Trauerprozess gerne mit einem Dampfkochtopf. Ein Dampfkochtopf funktioniert nur, weil sich der Druck, der in dem Topf erzeugt wird, gezielt über ein Ventil ablassen lässt. Gäbe es das Ventil nicht, würde der Dampfkochtopf irgendwann explodieren. Auch Trauer erzeugt einen inneren Druck. Wenn dieser kein Ventil findet, dann richtet er Schaden an, Schaden an Körper oder Seele. Vielleicht nicht sofort. Aber die Trauer bahnt sich ihren Weg. Immer. Manchmal erst nach vielen, vielen Jahren. Aber wenn sie sich erst als Krankheit manifestieren muss, dann sind viele Chancen verpasst, sie in dem Moment zu leben, indem sie da ist. Und das ist jetzt. In dem Moment, in dem der Trauerfall akut ist.

Sich helfen lassen. Auch von der Familie, wenn sich das anbietet, aber besser noch von Menschen, die nicht selber akut trauern. Freund*innen, liebe Leute aus dem Umfeld. Vielleicht dort ein paar Tage unterschlüpfen. Vielleicht eine vertraute Person mit in den eigenen vier Wänden schlafen lassen. Tagsüber Spaziergänge machen, gemeinsam essen, Abende zu zweit verbringen. Und den Zeitraum, in denen die Geister der Nacht eine Chance haben könnten, möglichst kurzhalten.

Zusätzlich hilft manchmal ein aufbauendes, klärendes Gespräch mit einem Menschen, dessen Profession es ist, Trauernde auf ihrem Weg in ihr neues Leben zu begleiten. So wie in diesem Fall. Reden, fragen, das Herz ausschütten und tastenden Schrittes den Weg finden, der sich gerade erst zu ebnen beginnt.

Ich wünsche dir von Herzen ein neues Jahr, in dem es dir wieder und wieder gelingt, die Geister deiner Nächte zu vertreiben und den Engeln deiner Tage die Hand zu reichen,

deine Katharina

Zitat der Woche: „Vergiss nicht, dass jede schwarze Wolke eine dem Himmel zugewandte Sonnenseite hat.“ (Friedrich Wilhelm Weber)

Dieser Beitrag entstammt meiner Reihe von Mittwochs-Mails, die ich an jedem einzelnen Mittwoch verschicke. Wenn du diese Mittwochs-Mails gerne direkt von mir bekommen möchtest, trage dich gerne hier ein: