Stille, manche haben gehörig die Nase voll davon. Wir wurden zur Stille verdammt, zur Ruhe gezwungen. Wir wurden im Haus gehalten und von Menschen isoliert. Wir hatten keine Ablenkung und waren auf uns selbst zurückgeworfen. Ist es nicht Zeit, dass das Leben wieder von uns Besitz ergreift?

Stille, ich weiß nicht, wer in diesen Zeiten des erzwungenen Rückzugs wirklich in die Stille gegangen ist. Menschen waren einsam, traurig, ohne Ablenkungen, überfordert, unruhig, herausgefordert, hatten Existenzängste oder waren völlig verzweifelt. Manche auch konnten die freien Wochen genießen, endlich mal das machen, was so lange aufgeschoben wurde, Neues entdecken, sich entfalten, aber aus meiner Sicht war das die absolute Minderheit.

Ich für meinen Teil habe zeitweise weniger gemacht als sonst, das schon, aber bin ich deswegen stärker in mich gegangen, habe ich die Zeit genutzt, bin ich wirklich still geworden? Mich lenken oft meine eigenen Gedanken von der Stille ab. Im Kopf dreht sich alles, Freuden, Sorgen, die Themen des Tages, Ideen und To Do’s, alles in einem wilden Durcheinander.

Es gibt aber Tätigkeiten, die mich in die Stille und damit zu mir führen: mein morgendliches Schreiben, meditativer Kreistanz, mich in der Natur aufhalten und ihr lauschen. Innere Stille braucht nicht die absolute Abwesenheit von Geräuschen, sondern den Raum, bei sich selber anzukommen. Und sei es, dem Vorfrühlings-Gezwitscher der Vögel zu lauschen.

Amselsturm

Angenehme Vorstellungen von Dingen, die noch nicht sind, aber sein werden, zum Beispiel im März, wenn wieder einmal keine einzige Knospe zu sehen, kein Frühlingslufthauch zu spüren ist, während doch gegen Abend der Amselsturm sich erhebt.

Blüten aus Terzen, Blätter aus Quinten, Sonne aus Trillern, ganze Landschaften aus Tönen aufgebaut, Frühlingslandschaften, rosa-weiße Apfelbäume vor blauen Gewitterwolken, Sumpfdotterbäche talabwärts, rötlicher Schleier über den Buchenwäldern, Sonne auf den Lidern, Sonne auf der ausgestreckten Hand.

Lauter Erfreuliches, was doch auch in anderer Beziehung, zum Beispiel in der Beziehung der Menschen zueinander, eintreten könnte, Freude, Erkennen.

Amselsturm hinter den Regenschleiern, und wer sagt, dass in dem undurchsichtigen Sack Zukunft nicht auch ein Entzücken steckt?

Marie Luise Kaschnitz

Wie ist das bei dir? Was führt dich in die Stille hinein, zu dir selbst? Ich würde zu gerne davon hören. Wenn du magst, schreib es mir.

Eine wunderbare Woche von Mittwoch zu Mittwoch, das wünsche ich dir von Herzen!

Deine Katharina

Zitat der Woche: „In der vollkommenen Stille hört man die ganze Welt.“ (Kurt Tucholsky)