Ich habe vollstes Verständnis für den Wunsch vieler Trauernder, das Gefühl dieses großen emotionalen Schmerzes schnellstmöglich wieder loswerden zu wollen. In Zeiten der Trauer erreichen die Gefühle zuweilen eine Intensität, die alle Dimensionen dessen sprengt, was die meisten Menschen je zuvor erlebt haben. Wut, die dich zerreißt, und Angst, die dich auffrisst? Ja, das kann es geben. Aber meiner Erfahrung nach sind die Ausschläge bei der Trauer stärker und vor allem halten sie länger an.
Trauer hat die Kraft, auch in hohe Gefühlsmauern Löcher zu brechen.
Es gibt gute Gründe dafür, warum diese Mauern existieren. Die meisten von uns sind so großgeworden, dass sie ihre starken Gefühle – vor allem die als negativ abgestempelten Gefühle – nicht zeigen durften. In meiner Kindheit wurde es nicht kommentarlos hingenommen, wütend, traurig oder ängstlich zu sein. Ich sollte möglichst schnell wieder „normal“ werden, also in einen moderaten Gefühlszustand wechseln. Dafür wurde ich beruhigt, getröstet und auch mal ausgeschimpft.
Kinder reagieren auf das Verhalten ihrer Eltern. Sie lernen, dass als negativ bewertete Gefühle nicht da sei dürfen und erst recht nicht bleiben. Also werden diese Gefühle unter dem Deckel gehalten, in Schubladen gepackt oder hinter einer Mauer versteckt. Entscheide du, welches Bild am besten zu dir und deiner Situation passt.
Was wäre, wenn du den Deckel lüftest, die Schubladen aufziehst und die Mauer einreißt?
In den sorgsam gehüteten Gefühlsverstecken wartet nichts, wovor du Angst haben musst. Dort wartet ein Teil deiner Lebendigkeit. Und sie ist es wert, das Licht der Welt zu erblicken.
Bei allem Verständnis für deinen Wunsch, deine Trauer möge weniger werden oder am liebsten ganz verschwinden – räume ihr das Recht zu leben ein und gewähre ihr einen Platz neben Freude, Dankbarkeit und Liebe. Neben deiner Wut und deiner Angst. Jedes deiner Gefühle ist wertvoll, und jedes deiner Gefühle sollte willkommen sein.
Ich wünsche dir von Herzen eine gefühlsreiche Woche von Mittwoch zu Mittwoch,
deine Katharina
Zitat der Woche: „Weine vor Freude und Trauer in der gleichen Lautstärke.“ (Mark Twain)