Das Weihnachtsfest ist vorbei, die Tage zwischen den Jahren lassen zur Ruhe kommen und regen zum Nachdenken an. Viele hatten in der Vorweihnachtszeit Stress und mehr zu tun als sonst. Zum Fest trafen sich die Familien in wechselnden Konstellationen. Deshalb mussten Geschenke da sein, für jeden das passende in ausreichender Zahl, die Mahlzeiten wollten geplant und vorbereitet sein, der Weihnachtsbaum geschmückt, das Haus sauber. Alle freuen sich auf Weihnachten und doch geht, so meine Erfahrung, ein heimliches Aufatmen durch das Land, wenn die Hektik für dieses Mal hinter uns liegt und freie, unverplante Stunden warten. Mit Kerzenschein und einem Becher Tee in der Hand. Mit einem Spaziergang in der Wintersonne, die sich vielleicht zeigt. Zeit. Endlich Zeit.
Für Menschen, die einen ihrer geliebten Angehörigen verloren haben, sieht das Weihnachtsfest anders aus. Jahrzehntelang ausgeübte Weihnachtstraditionen können nicht ein zu eins umgesetzt werden. Da fehlt jemand, der dazu gehört. Und diese Lücke lässt sich nicht einfach schließen, indem man so tut, als gäbe es sie nicht. Geschenke braucht die geliebte Person nicht mehr. Und Essen müssen wir für sie ebenfalls nicht einplanen. Vielleicht hat dein lieber Mensch immer den Tannenbaum geschmückt und du stehst nun alleine davor und weißt noch nicht einmal, ob du den Tannenbaum überhaupt haben willst. Wozu denn auch? Was soll das alles?
Menschen in Trauer haben das Gefühl, dass es allen anderen zu Weihnachten gut geht. Dass sie Spaß haben in ihren Familien, dass hinter den geschlossenen Fenstern neben dem Lichterglanz nur eitel Sonnenschein herrscht. Sie sind selber so traurig, dass ihnen nicht einfällt, was sie vielleicht schon einmal gehört oder gelesen haben: Die Weihnachtstage gehören zu den konfliktreichsten Tagen des Jahres. Dann nämlich, wenn die Familien auf engstem Raum zusammenkommen, sind Streitigkeiten vorprogrammiert. Die Erwartungen an das Fest sind hoch. Zu hoch. Und können von den Beteiligten nicht erfüllt werden. Deshalb kommt es zu Reibereien. Das ist einer der Gründe dafür, dass die meisten froh sind, wenn Weihnachten vorüber ist, einige Tage des Übergangs herrschen und dann der Alltag wieder beginnt. Eine Zeit, in der sich die Familienangehörigen leichter aus dem Weg gehen können, weil sie jeweils ihren Aufgaben und Verpflichtungen nachkommen.
Hast du einen geliebten Menschen verloren und genau dieses Gefühl, dass du als einziger Mensch auf der Welt das Weihnachtsfest in Einsamkeit verbracht hast? Dann lass dir, auch wenn du es nicht fühlst, gesagt sein, dass Familienangehörige sich manchmal in großer Runde einsamer fühlen, als wenn sie wirklich alleine wären, und dass nicht alle wirklich Spaß an dem Fest hatten. Und trotzdem bleibt natürlich dein subjektives Gefühl, dass die Weihnachtstage das Schlimmste waren, was dir passieren konnte, und dass es allen anderen besser geht als dir.
Nun ist die Zeit nach Weihnachten angebrochen. Ein Jahreswechsel steht an. Nicht viel besser, die Perspektive, ein weiteres Jahr und dann noch eins und noch eins ohne den geliebten Menschen verbringen zu müssen. Trotzdem hilft es, freie Stunden, Tage ohne Termine dafür zu nutzen, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen. Welche schlimmen Zeiten gab es, die ich auf keinen Fall noch einmal erleben möchte? Gibt es noch etwas zu tun, was es mir leichter macht, damit abschließen zu können? Mit einer bestimmten Person sprechen? Einen Brief schreiben? Mir selber verzeihen? Mich um Unterstützung kümmern? All das sind Dinge, die jetzt und in den nächsten Wochen in Angriff genommen werden können, weil ihre Erledigung einen guten Effekt hat, den Effekt, das alte Jahr besser abschließen und ein kleines bisschen zuversichtlicher auf das neue zugehen zu können.
Du kannst auch überlegen, welche guten, welche aufbauenden, welche glücklichen Momente es für dich gab, die in all die Dunkelheit ein bisschen Licht gebracht haben. Schreib sie auf, jeden besonderen Moment auf einen eigenen Zettel, und häng sie in deiner Wohnung. An Stellen, wo du sie immer siehst. Und wo du dir dadurch ständig vor Augen führst, dass es – trotz der schweren Zeit, die du gerade durchmachen musst – auch positive Aspekte in deinem Leben gibt. Dinge, wofür es sich zu leben lohnt.
Und dann gehst du ganz bewusst, ganz zuversichtlich auf das neue Jahr zu. In der Hoffnung, dass die guten Augenblicke auch im kommenden Jahr da sein werden, wie sie im vergangenen da waren und dich durch die Zeit getragen haben. In deiner Vorstellung schließt du die Tür des ausgehenden Jahres hinter dir. Tür zu. Das war’s! Die traurigen Dinge, die du erlebt hast, sind Geschichte. Sie sind Teil deiner Geschichte und bleiben es auch. Aber du kannst hinter dir lassen, was dich im letzten Jahr belastet hat und dir schwergefallen ist. Deine große Last bleibt im alten Jahr. Gehe guten Mutes und voller Zuversicht auf das neue Jahr zu. Getragen von der Hoffnung, dass das Leben ein Leben für dich bereithält, das seinen Namen verdient.