Wie das Corona-Virus die Art des Abschiednehmens verändert

Seit mehr als einem Jahr hält die Corona-Pandemie die Welt in Atem. Millionen von Menschen wurden infiziert, Hunderttausende sind daran gestorben. Allein in Deutschland sind aktuell fast 75.000 Personen an oder mit COVID-19 verstorben. Die Medien berichten täglich über die Entwicklung der Lage, melden die neuesten Zahlen und verkünden die Maßnahmen, die die Regierung in dem Zusammenhang beschlossen hat. Mittlerweile sinkt die Akzeptanz den Beschlüssen gegenüber bei gleichzeitigem Anstieg der Infektionszahlen. Das zeigt, dass das letzte Wort in der Krise noch lange nicht gesprochen ist.

Abschied, Sterben und Tod in Pandemiezeiten

In diesem Blogartikel widme ich mich einem Geschehen, das aus meiner Sicht im Zusammenhang der Pandemie bisher zu wenig Beachtung findet: Abschied, Sterben und Tod in diesen besonderen Zeiten. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten nicht nur die genannten 75.000 Personen im Zusammenhang mit COVID-19 verstorben sind, sondern auch die 900.000 weiteren Personen, deren Tod eine andere Ursache hatte, deren Todesumstände aber den gleichen Einschränkungen und Regeln unterworfen waren wie die der an Corona Infizierten. Das heißt, in unserem Land waren rund 1.000.000 Sterbende und ihre Angehörigen von den Corona-Maßnahmen rund um den Tod betroffen und sind vor die besonderen Herausforderungen von Trauer in Zeiten der Pandemie gestellt.

1.000.000 Tote, 1.000.000 teils herzzerreißende Einzelschicksale. Niemand, der nicht im vergangenen Jahr unmittelbar mit dem Tod in Berührung gekommen ist, weiß, was das bedeutet. Es bedeutet, dass das Thema Trauer noch einmal ganz neu in den Blick genommen werden muss, denn es hat eine ganz neue, bisher ungeahnte Dimension bekommen.

Einsamer Abschied

Durch das Corona-Virus gestaltet sich das Abschiednehmen schwierig. Für diejenigen, die zum Ende ihres Lebens im Krankenhaus oder gar auf der Intensivstation liegen müssen, ist es ein einsames Sterben. Sie dürfen keine Besuche empfangen oder nur sehr dosiert von Angehörigen besucht werden. Die Bestimmungen der Krankenhäuser zum Infektionsschutz stehen den Wünschen aller Beteiligten entgegen. Die Regeln sagen, Kontakte seien auf ein Minimum zu reduzieren und müssten, wenn sie denn stattfinden, unter den strengsten hygienischem Vorschriften geschehen. Es fehlen den Kranken in ihrer letzten Lebenszeit Nähe, Wärme, Umarmungen, Gespräche, die Möglichkeit zu sagen, was noch gesagt werden soll, und der Tod aus dem vertrauten Miteinander heraus. Der sterbenden Person wird die Möglichkeit genommen, selbst zu bestimmen, ob sie alleine oder begleitet sterben möchte. Die Regeln verhindern es faktisch. Teilweise werden die Angehörigen kurz vor dem Tod ihrer Liebsten benachrichtigt und können wenigstens auf den letzten Lebensmetern dabei sein. Dann, wenn alles zu spät ist.

Die Würde des Menschen ist unantastbar

In Artikel 1 unseres Grundgesetzes steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dies gilt für jeden Menschen und es gilt im Leben, im Sterben, im Tod und auch über den Tod hinaus. Für mich stellt sich die Frage: Wie lässt sich in dieser besonderen Zeit die Würde des Menschen im Sterben und im Tod gewährleisten? Denn sie ist durch die Regelungen weitgehend ausgehöhlt. Fakt ist: Es ist eine Gratwanderung, die nur durch unkonventionelle, menschliche Lösungen in Richtung Würde entschieden werden kann. Meine Erfahrungen nach einem Jahr Pandemie und vielen, vielen Gesprächen mit Trauernden zeigen, dass es wahrlich nicht immer gelingt, die Würde der Sterbenden und ihrer Angehörigen zu wahren. Insofern kann es derzeit passieren, dass die Würde angetastet wird.

Neben der Würde, den Umständen im Zusammenhang mit Sterben und Tod, hat aber ein jeder Menschen seinen ureigenen Wert. Dieser Wert des Menschen, sein innerer Kern, sein Wesen und sein in ihm wohnender Schatz, der bleibt von den äußeren Umständen unberührt und kann, selbst in Situationen, in denen die Würde nicht vollständig gewährleistet werden kann, in besonderer Weise zum Leuchten kommen. So zumindest verstehe ich meine Rolle, wenn ich Abschiede gestalte und Trauerreden halte.

Die besonderen Schwierigkeiten von Trauer in Zeiten der Pandemie

Für mich sehen sich Trauernde in Zeiten der Pandemie vor allem folgenden Schwierigkeiten ausgesetzt:Durch die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Abschiednehmen fällt der Abschied besonders schwer und macht die Trauerlast unnötig groß.

Das Thema Trauer ist in unserer Gesellschaft ein Tabu-Thema. Dieses Tabu wird durch die besonderen Umstände des Todes verstärkt. Der Tod geschieht im Verborgenen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und die Betroffenen sind stärker isoliert als sonst.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit heißt auch, dass Trauerfeiern nur in einem sehr begrenzten Umfang stattfinden können und kollektives Trauern, Abschiednehmen und die gegenseitige Unterstützung, die daraus erwächst, weitgehend ausfällt.

Das Gebot der Stunde – social distancing – macht Trauernden besonders zu schaffen. Sie können ihren Schmerz nicht loswerden und ihre Last nicht teilen. Sie müssen auf Nähe verzichten. Selbst der Halt durch die Familie ist durch die Kontaktbeschränkungen reduziert.

Die Pandemie ist da, wir können sie nicht wegdiskutieren. Sie verlangt Vorsicht im Umgang miteinander, sie verlangt Maßnahmen, sie verlangt Strategien. Aber sie verlangt auch das Einfühlungsvermögen für die spezielle Situation der vom Tod Betroffenen. Ich sehe, dass die überwiegende Mehrheit in unserem Land versucht, den bestmöglichen Weg zu gehen. Dabei passieren Fehler, auch schwerwiegende Fehler. Und nicht immer schlägt das Pendel in Richtung Würde aus.

Im Vordergrund muss ein menschliches Sterben und Abschiednehmen stehen

Ich halte viel davon, auf das zu schauen, was uns die Menschlichkeit in Zeiten der Pandemie jenseits aller politischen Haltungen gebietet. Eine Menschlichkeit, die die Würde und den Wert von Sterbenden und ihren Angehörigen im Blick hat.

Am 18. April findet eine nationale Gedenkfeier für die im Zusammenhang mit dem Corona-Virus Verstorbenen statt. Ich durfte am 5. März an einem Vorbereitungsgespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und fünf Hinterbliebenen teilnehmen. Aus Gründen des Infektionsschutzes wurden drei der Hinterbliebenen und ich digital zugeschaltet. Das vollständige Gespräch findet sich auf der Website des Bundespräsidenten.

https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Berichte/DE/Frank-Walter-Steinmeier/2021/03/210305-Gespraech-Hinterbliebene.html

Des weiteren durfte ich ein paar Tage später ein 1:1-Video-Gespräch mit Bundespräsident Steinmeier persönlich führen. Darin ging es um Trauer in Zeiten der Pandemie, um Abschiednehmen, um Rituale und um die Gedenkfeier. Ich bin froh darüber, dass diese Themen nun auf höchster Ebene besprochen werden und im Blick sind.Ich wünsche mir, dass die Würde der Sterbenden und ihrer Angehörigen angemessener wahrgenommen und ihre Umsetzung ermöglicht wird. Dazu soll mein Artikel beitragen. Gerade in Zeiten der Pandemie ist es sinnvoll, das Tabuthema „Tod und Sterben“ anzusprechen, damit das ungewollt einsame Sterben ein Ende hat.

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Trauer in Zeiten der Pandemie – Der Bundespräsident im Gespräch mit Katharina Ziegler