Wer mich bereits persönlich kennengelernt hat, weiß, dass Gefühle für mich eine hohe Bedeutung haben. Ich wäre nicht ich und könnte meine Arbeit nicht machen, wenn ich nicht sehr gut mit meinen Gefühlen in Kontakt wäre. Diese Fähigkeit gepaart mit meinen Antennen, über die ich zwischen den Zeilen von Situationen und Personen Schwingungen auffange, ist das wertvollste Instrumentarium dafür, dass es mir gelingt, das Wesen von Personen zu erfassen, die ich oft nicht einmal gekannt habe.

Was aber oft viel wichtiger ist: Ich ermuntere Menschen dazu, ihre Gefühle in der Situation des Abschieds wahrzunehmen und dazu zu stehen.

Ein Beispiel:

Ich habe mal vor einiger Zeit die Abschiedsrede für eine Frau geschrieben, die im Alter von nur 60 Jahren gestorben ist. Sie hatte durch ihren Lebenswandel kräftig dazu beigetragen, dass sie so jung sterben musste. Das Trauergespräch führte ich mit der Schwester der Verstorbenen, ihrem Schwager und ihrer Mutter, die noch lebte. Die Mutter erzählte mir, sie habe alles versucht, ihre Tochter dazu zu bringen, dass sie sich ändere, aber sie habe nicht auf sie gehört. Ich spürte die Enttäuschung darüber und die Wut dicht unter der Oberfläche und sagte: „Wie gut, dass Sie Ihre Wut haben!“ Daraufhin guckte die alte Dame ganz irritiert. Ich wiederholte meinen Satz: „Wie gut, dass Sie Ihre Wut haben! Denn Ihre Wut hilft Ihnen dabei, dem Abschied von Ihrer Tochter nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Sie führt dazu, dass Sie sich von ihr ein bisschen distanzieren können.“ „Ja, meinen Sie?“, fragte mich die alte Dame. „Ja, das meine ich ganz bestimmt.“ „So habe ich das noch gar nicht gesehen.“ Ich hörte, wie ihr ein Stoßseufzer der Erleichterung entfuhr. Endlich hatte es mal jemand ausgesprochen. Endlich durfte sie sich gestatten, ihre scheinbar schlechten Gefühle hochkommen zu lassen. Endlich wurden sie aus ihrem Emotions-Käfig entlassen und durften frei sein.

So kann ich manchmal wie eine Gefühls-Hebamme wirken. Gefühle, von denen die Menschen noch nicht einmal wussten, dass sie sie in sich tragen, kommen auf die Welt. Natürlich waren die Gefühle schon vorher da, aber die wurden unterdrückt. Viele erlauben sich nicht, ihre Gefühle überhaupt wahrzunehmen. Gerade in der Situation des Abschieds sollen nur die guten Erinnerungen hochkommen und die vermeintlich schlechten Emotionen sollen außen vor bleiben. Aber das geht nicht.

Wir sind als Menschen von der Geburt an mit einer großen Palette an Gefühlen ausgestattet. Sie sind unsere Lebenskraft. Ausnamhslos alle Emotionen gehören zum Menschsein dazu: Freude, Trauer, Ohnmacht, Wut, Angst, Dankbarkeit… Ein Regenbogen ist nur Regenbogen, weil er das ganze Farbspektrum enthält. Wir Menschen sind nur Menschen, weil uns das gesamte Gefühlsspektrum zur Verfügung steht. Es gibt keine guten und schlechten Gefühle. Es gibt nur Lebendigkeit. Wenn wir nur einem Teil unserer Gefühle gestatten zu leben und sich zu zeigen, berauben wir uns eines Teils unserer Lebenskraft, die uns in guten und in schweren Zeiten trägt.

Ich kann dich nur dazu ermuntern, deinen Gefühlsfreichtum zu leben und aus seiner Quelle zu schöpfen. Dein Leben wird bunter, tiefer und reicher sein als vorher. Es wird ein Leben sein, für das es sich zu leben lohnt.

Eine gefülsreiche Woche von Mittwoch zu Mittwoch wünsche ich dir!

Von Herzen,

deine Katharina

P.S. Ich arbeite gerade an einem Kurs zur Trauerbegleitung. Du bist Experte*in in Sachen Trauer. Was muss aus deiner Sicht so ein Kurs leisten, damit er wirklich hilfreich ist? Ich würde mich freuen, wenn du mir dazu schreibst. Danke im Voraus für deine Unterstützung!

Zitet der Woche: „Gedanken machen groß, Gefühle reich.“ (Quintilian)