Ich sehe ihn in den Gesichtern vieler Menschen und ich spüre ihn auch bei mir, den Novemberblues. Morgens ziehen die Nebel übers Land und die Luft ist feuchtigkeitsschwanger. Dicke Wolken zieren den Himmel, und es will sich absolut kein Sonnenstrahl zeigen. Der Regen fällt in Schwaden und zeigt zuweilen das Bild, das wir aus alten Filmen kennen: als würde jemand heimlich einen Wasserschlauch über die Szenerie halten.

Es will und will nicht hell werden. Mehr noch – das Licht schwindet weiter. Bis kurz vor Weihnachten werden uns an jedem Tag ein paar Minuten mehr davon geraubt. Kein Wunder, dass die Seelen der Menschen darauf reagieren. Das Wetter, die Stimmung, das macht etwas mit uns.

Hermann Hesse hat diese Nebel-November-Stimmung sehr schön in einem Gedicht eingefangen:

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

Hermann Hesse

Er weiß, wovon er spricht, Hermann Hesse. Das wird mehr als deutlich. Er kennt den November-Nebel, er kennt den Blues, den er erzeugt. Und er weiß um das Dunkel um ihn herum und in der Seele. Aber in all dem Seelenleid erkennt er den Reichtum, der darin steckt: „Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt…“

Seelen leiden im November. Stimmungen sinken in den Keller. Gerade Trauernden wird das in diesen Wochen überdeutlich bewusst. Und doch bilden sich auf diese Weise Persönlichkeiten. Die innere Tiefe wächst. Gleichzeitig kann die Sehnsucht, der Einsamkeit entfliehen zu wollen, übermächtig werden.

Also lasst uns Brücken bauen. Lasst uns einander die Hand reichen. Durch die Nebelschwaden hindurch. Einsam, zweisam, gemeinsam. Der nächste Frühling kommt bestimmt.

Ich wünsche dir von Herzen eine stärkende Novemberwoche von Mittwoch zu Mittwoch,

deine Katharina

Zitat der Woche: „Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt, das unentrinnbar und leise von allen ihn trennt.“ (Hermann Hesse)