Selbst wenn mir noch nie jemand davon erzählt hätte, dass es so wenige Möglichkeiten gibt, über Trauriges zu sprechen, gäbe es für mich ein Indiz dafür. Das sind die Erfahrungen, die ich während meiner Lesungen mache.

Im letzten Drittel des Jahres 2019 war ich auf Lesereise quer durch Deutschland. Von Flensburg bis Nürnberg war ich an 56 verschiedenen Orten, um mein Buch „Loch im Leben“ vorzustellen. Ich habe Hunderte von Menschen getroffen, bin zig Trauernden begegnet und habe dabei jedes Mal wieder die eine gleiche Erfahrung gemacht: die Menschen brauchen Räume dafür, um über ihre Trauer zu sprechen. Warum sonst nutzen sie ein Setting unter wildfremden Personen dafür, ihre Trauergeschichten zu erzählen?

Daran hat sich bis heute, vier Jahre später, nichts geändert.

Ich war am 11. Oktober 2023 mit „Loch im Leben“ auf einer Lesung, die in Gemeinschaftsarbeit vom Hospizdienst und der Seniorenberatungsstelle Bassum organisiert worden war. Und auch dort war ich sehr berührt davon, was für persönliche Geschichten erzählt wurden. Tränen flossen, auch das. Wie gut, dass sie flossen! Wo gibt es im öffentlichen Rahmen schon die Möglichkeit, den Tränen freien Lauf lassen zu dürfen? Sie stehen so oft an der Oberkante des Unterlides. Meistens aber werden sie heruntergeschluckt statt sich auf gesunde Art und Weise ihren Weg ans Licht zu bahnen.

Ich freue mich so, so sehr über diese Tränen! Ich freue mich darüber, wenn Menschen ihre traurigen Geschichten erzählen. Denn dann weiß ich, dass diese Geschichten aus der Verborgenheit herauskommen und in einen geschützten Raum hineinfallen, in ein Nest der Geborgenheit. Verborgen – geborgen. Merkst du was? Das Gefühl von Geborgenheit entsteht, wenn die Trauergeschichten vor Menschen erzählt werden, die Ähnliches erlebt haben und die wissen: Ja, genau, so fühlt sich das an!

Es ist meistens nicht die Zurückhaltung der Menschen, die der Grund dafür ist, warum sie nicht über ihre Trauer sprechen möchten. Es ist die mangelnde Gelegenheit dafür.

Einer meiner Kursteilnehmer in „Worte für die Ewigkeit“, der unter anderem ausgebildeter Trauerbegleiter ist, erzählte gestern Abend bei unserem Gruppencoaching, er mache die Erfahrung, dass die trauernden Menschen nur eine Ermunterung bräuchten und das Signal, dass da jemand ist, der ihnen zuhört. Dann reden sie, reden von ihren Gefühlen, sprechen Dinge aus, die sie in anderem Rahmen niemals geäußert hätten. Weil sie wissen, es ist jemand da, der ihnen zuhört und der in der Lage ist, die Wucht der Emotionen mit ihnen zusammen auszuhalten.

Suche dir gezielt solche Räume: bei einer Trauerbegleitung, bei lieben Menschen in deinem Umfeld, in einer Trauergruppe, in einer Therapie oder auch einfach bei einer Freundin, einem Freund auf dem Sofa.

Deine körperliche und deine seelische Gesundheit werden es dir danken!

In diesem Sinne wünsche ich dir von Herzen eine trauerreiche Woche von Mittwoch zu Mittwoch,

deine Katharina

Zitat der Woche: „Weine vor Freude und Trauer in der gleichen Lautstärke.“ (Mark Twain)

 

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden